Stellungnahme: Vernehmlassung zur Änderung der Verordnung über die Invalidenversicherung
05.06.2023
Tabellenlöhne: Wir fordern eine Anpassung des Abzuges
Der Bundesrat überschätzt die Einkommensmöglichkeiten von Personen mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung. Daraus resultieren systematisch deutlich zu tiefe Invaliditätsgrade. Pro Mente Sana und Inclusion Handicap fordern, dass die Einstufung überarbeitet wird.
Im November 2021 hat der Bundesrat das Inkrafttreten der Weiterentwicklung IV (WEIV) auf den 1. Januar 2022 beschlossen und gleichzeitig die dazugehörigen Verordnungsänderungen verabschiedet. Es sollten wie bis anhin die Lohndaten der “Lohnstrukturerhebung” LSE herangezogen und ein Teilzeitabzug von 10% vorgenommen werden. Abgeschafft wurde jedoch der von der Rechtsprechung entwickelte sogenannte leidensbedingte Abzug von maximal 25%. Im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens zu den Verordnungsänderungen wurden die neuen Regelungen zur Bemessung des Invalidenlohnes kritisiert, weil sie zu wenig berücksichtigen, dass Menschen mit Behinderungen im Vergleich zu gesunden Menschen nicht die gleichen Einkommen erzielen können.
Verdienstmöglichkeiten von Menschen mit einer Beeinträchtigung zu hoch eingeschätzt
Trotz dieser Kritik hielt der Bundesrat an seiner Lösung fest. Nach Abschluss des Vernehmlassungsverfahrens publizierten Frau Prof. em. Dr. Riemer-Kafka und Herr Dr. phil. Schwegler ein Modell, wonach die heute genutzten Lohnstrukturerhebungs-Tabellen mittels einem von der Schweizer Paraplegiker-Forschung entwickelten Job-Matching-Tool behinderungsbedingt angepasst werden könnten. In der Folge hat das Parlament den Bundesrat durch Annahme einer Motion beauftragt, bis Ende 2023 eine Lösung zu finden, welche auf den reell erzielten Löhnen von Menschen mit einer Beeinträchtigung beruht. Der Bundesrat hat nun einen Vorschlag ausgearbeitet: Er möchte primär eine einfache und rasch umsetzbare Lösung. Er hat deshalb in Art. 26bis Abs. 3 der Verordnung festgehalten, dass die Tabellenlöhne für die Berechnung einer IV-Rente pauschal um 10% (zusätzlich zum allfälligen Teilzeitabzug) zu reduzieren seien. Gemessen an den Resultaten der Studie BASS ist dieser Abzug jedoch zu tief. Die Berechnung des Bundes basiert nämlich auf den Lohndaten von Erwerbstätigen, die zwar starke gesundheitliche Einschränkungen angeben, aber keine IV-Rente erhalten. Wenn man sich auf die Daten der Menschen bezieht, die eine Teil-IV-Rente beziehen, dann erhält man gemäss Studie BASS um 17% tiefere Löhne als jene in der LSE.
- Wir fordern deshalb eine nähere Prüfung des Modells «Tabellenlöhne nach Riemer-Kafka/Schwegler».
- Im Falle der Ablehnung des Modells «Tabellenlöhne nach Riemer-Kafka/Schwegler» und Favorisierung eines Pauschalabzugs fordern wir einen Pauschalabzug in der Höhe von 17%. Zusätzlich sollten lohnmindernde Faktoren berücksichtigt werden – wie von der Studie BASS, als zentrale Quelle des Bundesrats, verlangt.
Wir begrüssen, dass die Möglichkeit einer Neuanmeldung bei der IV vorgesehen ist, sodass alle Berechtigten von der Neuregelung profitieren können. Allerdings dürfen Personen mit einer bereits laufenden Rente nicht schlechter gestellt werden. Gemäss Abs. 2 der Übergangsbestimmung sollen sich Versicherte, bei denen ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad festgestellt und der Rentenanspruch abgelehnt oder eine Rente aufgehoben wurde, erneut bei der Invalidenversicherung anmelden können. Es sollte dabei aber auch möglich sein, Umschulungsmassnahmen zu beziehen und nicht nur den Rentenanspruch zu erheben. Aus unserer Sicht reicht es zudem nicht aus, die Möglichkeit der Neuanmeldung lediglich über die Übergangsbestimmung zu kommunizieren.
- Wir fordern, dass das Bundesamt für Sozialversicherungen und die IV-Stellen aktiv und klar verständlich über die Möglichkeit einer Neuanmeldung informieren.
Die detaillierten Argumente finden Sie in unserer Stellungnahme (PDF, 11 Seiten).