UNO-Behindertenrechtskonvention
02.10.2017
Schattenbericht zur UNO-Behindertenrechtskonvention (UNO-BRK)
Am 29.8.2017 überreichten die Behindertenorganisationen ihren Schattenbericht zur UNO-Behindertenrechtskonvention (UNO-BRK) dem UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Pro Mente Sana hat bei der Erarbeitung mitgewirkt und ihr Augenmerk insbesondere auf die Situation und die Bedürfnisse der Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung gerichtet.
Die Schweiz hat die UNO-BRK im Mai 2014 unterzeichnet. Die UNO-BRK setzt Massstäbe für Gleichberechtigung, Nichtdiskriminierung sowie gesellschaftliche Teilhabe. Nicht mehr die Behinderung, sei sie nun körperlicher, geistiger oder psychischer Natur, steht im Vordergrund sondern die behindernden gesellschaftlichen Verhältnisse, welche es Menschen mit einer Behinderung immer noch stark verunmöglichen, ihre Menschen- und Freiheitsrechte gleichberechtigt wahrzunehmen. Die Schweiz hat sich mit der Anerkennung der UNO-BRK verpflichtet, diese Barrieren abzubauen und eine inklusive Gesellschaft anzustreben.
Der Bundesrat hat im Juni 2016 einen sog. Initialstaatenbericht vorgelegt und aufgezeigt, was er unternimmt, um die oben genannte Zielsetzung zu erreichen. Diesem Staatenbericht stellen nun die Behindertenorganisationen ihren eigenen Schattenbericht gegenüber, der um einiges kritischer ausgefallen ist als der beschönigende Staatenbericht.
Pro Mente Sana hat bei der Erarbeitung des Schattenbericht mitgewirkt
Wir haben unser Augenmerk insbesondere auf die Situation und die Bedürfnisse der Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung gerichtet. Hier einige Problemfelder, die wir besonders erwähnen möchten:
Von einer inklusiven Gesellschaft ist die Schweiz trotz Diskriminierungsverbot in der Bundesverfassung (Art. 8 BV) sowie dem Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) noch weit entfernt. Beispielhaft nennen wir einige wichtige Bereiche, wo die Rechte der Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung nicht oder nicht genügend berücksichtigt werden und sie deshalb nicht in den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschen- und Grundfreiheiten gelangen, wie dies Art. 1 der UNO-BRK fordert.
Lektüretipp zum Thema UNO-BRK
17-3 «Wundertüte UNO - Behindertenrechtskonvention» (PDF, 40 Seiten). Ein bunter Mix zum Thema aus der Praxis, Interview aus der Sicht einer Angehörigen sowie vieles mehr.
12 Abs. 2 UNO-BRK statuiert:
Menschen mit Behinderungen sollen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit andern Rechts- und Handlungsfähigkeit geniessen.
Zwar hat das neue Erwachsenenschutzrecht, das im Januar 2013 in Kraft getreten ist, gegenüber dem alten Vormundschaftsrecht zahlreiche Verbesserungen im Bereich des Selbstbestimmungsrechts gebracht. Trotzdem sind die vorgesehenen Massnahmen z.B. im Bereich der Beistandschaften zu stark auf Vertretungshandlungen ausgerichtet. So entfällt die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person bei der umfassenden Beistandschaft gänzlich und bei der Vertretungsbeistandschaft zumindest teilweise. Dies ist mit Art. 12 UNO-BRK –gleiche Anerkennung vor dem Recht – nicht vereinbar. Vereinbar mit dieser Bestimmung ist allein die Begleitbeistandschaft, die die Handlungsfähigkeit nicht beeinträchtigt. Statt Vertretungsbefugnisse einer dritten Person, - dem Beistand - zu übertragen, sollten Modelle der unterstützten Entscheidfindung favorisiert und entwickelt werden. So bleibt die Handlungsfähigkeit weitgehend erhalten, wie es Art. 12 der UNO-BRK verlangt.
Art. 14 Abs. 1 statuiert:
Dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit geniessen.
Problematisch in diesem Zusammenhang ist der in der Schweiz hohe Anteil an Zwangseinweisungen (fürsorgerische Unterbringung (FU), p.a. ca. 14‘000 FUs) in psychiatrische Kliniken, was einen schwerwiegenden Eingriff in Art. 14 UNO-BRK bedeutet. Zwar regelt das Erwachsenenschutzrecht die rechtliche Überprüfung der fürsorgerischen Unterbringung, doch erhält der Zwangseingewiesene nicht automatisch einen Rechtsbeistand. Er kann lediglich eine Vertrauensperson ernennen, was in der Praxis mangels Kenntnis dieses Rechts eher selten geschieht. Die Einweisungskompetenz nichtspezialisierter Ärzte, wie sie viele Kantone kennen, erhöht zudem die Anzahl der Zwangseinweisungen. Pro Mente Sana fordert, dass nur auf die Fachrichtung Psychiatrie spezialisierte Ärzte eine Zwangseinweisung anordnen können. Zudem sollen die Kantone und deren Gesundheitsdirektionen sicherstellen, dass das Recht, eine Vertrauensperson zu ernennen, in der Praxis umgesetzt wird. Dies zum Beispiel durch die Schaffung eines Pools von Vertrauenspersonen für FU-Patienten, die niemanden aus dem Familien- oder Bekanntenkreis beauftragen können.
Patientenverfügung:
Es ist zu begrüssen, dass das Erwachsenenschutzrecht (ESR) den in einer Patientenverfügung festgehaltenen Willen rechtlich anerkennt (Art. 370 ZGB) und im Falle der Urteilsunfähigkeit diesem entspricht. Dies gilt jedoch nur für die Patientenverfügung im Bereich der Somatik. Im psychiatrischen Bereich ist eine Patientenverfügung lediglich zu berücksichtigen (Art. 433 Abs. 3 ZGB). Dies bedeutet eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten im psychiatrischen Bereich, die mit grosser Zurückhaltung gehandhabt werden sollte.
Art. 17 UNO-BRK: Schutz der Unversehrtheit der Person
Jeder Mensch mit Behinderungen hat gleichberechtigt mit anderen das Recht auf Achtung seiner körperlichen und seelischen Unversehrtheit.
Zwangsmassnahmen:
Das Erwachsenenschutzrecht sieht unter gewissen rechtlichen Voraussetzungen (Art. 434 ZGB) Zwangsmassnahmen wie die Isolation, Zwangsmedikation oder Fixation vor. Auch wenn diese einschneidenden Massnahmen rechtlich überprüft werden können, stellen sie einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dar und sollten im Lichte von Art. 17 UNO-BRK – Schutz der Unversehrtheit der Person – wenn immer möglich vermieden werden. Dies durch geeignete Behandlungs- und Unterstützungsmassnahmen sowie vermehrte Angebote im ambulanten Bereich.
Abs. 1 lit. a) hält fest:
Dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben.
Viele Menschen mit Behinderungen leben in Institutionen und haben gar kein oder ein sehr eingeschränktes Recht auf die in der Verfassung garantierte Niederlassungsfreiheit. Auch wenn sich einige Institutionen bemühen, ihre Angebote den Anforderungen der UNO-BRK anzupassen, sind noch die Mehrheit durch ihren karitativen Hintergrund geprägt und bieten wenig Spielraum für ein selbstbestimmtes Leben. Auch das kantonale Finanzierungssystem fördert die Institutionen, statt Wahlfreiheit bei der Lebensführung zu ermöglichen. Um der Bestimmung von Art. 19 UNO-BRK Rechnung zu tragen, sollte von der Objekt- zur Subjektfinanzierung übergegangen werden.
Diese Bestimmung garantiert es Menschen mit Behinderung, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die sie in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt frei gewählt haben.
Davon sind wir in der Schweiz weit entfernt. Auch der Initialstaatenbericht der Schweiz hält fest, dass Menschen mit Behinderung doppelt so häufig keine Arbeit finden im Vergleich zu Menschen ohne Behinderung. Dies gilt besonders für Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung. Das Diskriminierungsverbot der Bundesverfassung (Art. 8 Abs. 2 BV) gilt nur für staatliche Arbeitsverhältnisse und das Behindertengleichstellungsgesetz findet ausschliesslich auf den Bund als Arbeitgeber Anwendung. Kein Wunder, dass seine Ausstrahlung deshalb sehr gering ist. Solange der Diskriminierungsschutz derart schwach sowie die privatrechtlichen Arbeitsverhältnisse keinerlei Verpflichtungen gegenüber Menschen mit Behinderung erfüllen müssen, bleiben die Garantien von Art. 27 UNO-BRK toter Buchstabe. Pro Mente Sana fordert deshalb, dass das Behindertengleichstellungsgesetz auch auf privatrechtliche Arbeitsverhältnisse Anwendung finden muss.