Interview mit Stiftungsratspräsident Thomas Ihde
17.05.2022
Stellungnahme und Positionierung zum Thema «rituelle Gewalt»
Seit einigen Wochen ist das Thema «rituelle Gewalt» erneut in den Medien präsent und beschäftigt auch unsere Stiftung. Thomas Ihde, Stiftungsratspräsident Pro Mente Sana und Chefarzt der Psychiatrie der Spitäler Frutigen, Meiringen und Interlaken, nimmt Stellung zum Thema.
Öffentliche Diskussion
Das SRF berichtete vergangenen Dezember über die Verschwörungserzählung, die in der Schweiz kursiert: Im Untergrund operierende Zirkel von Satanisten würden in grausamen Ritualen Kinder quälen und missbrauchen. Trotz ernsthaften Ermittlungsbemühungen der Polizei fehlen jegliche Beweise für diese Behauptungen. Die Sendung warf hohe Wellen und löste kontroverse Diskussionen aus.
Worum es geht
Namhafte Experten im Traumabereich entwickelten in den letzten Jahren eine sehr spezifische Therapie für Menschen, die überzeugt waren, Opfer ritueller satanistischer Gewalt zu sein. Zuerst meldeten sich vor allem Angehörige bei Fachstellen und Medien, die sich zu Unrecht beschuldigt sahen und berichteten, dass Fachpersonen völlig unkritisch die Perspektive der Betroffenen übernahmen und sie so in ihrer Wahrnehmung bestärkten und dies obwohl alle polizeilichen Untersuchungen keine Hinweise ergaben, dass die Wahrnehmungen der Betroffenen auch nur ansatzweise belegbar oder wahrscheinlich waren. Schliesslich meldeten sich auch zunehmend Betroffene selbst. Ihre Berichte lassen auf eine sehr ungünstige Dynamik zwischen Betroffenen und Fachpersonen schliessen – Betroffene, die verzweifelt nach Gründen für ihre hohe und komplexe Belastung suchten und Fachpersonen, die überzeugt waren, dass es ein hochkomplexes geheimes System ritueller satanistischer Gewalt gibt. Betroffene berichten sehr differenziert, wie sie sich in diesen Geschichten verloren und ihre Therapeut*innen nicht enttäuschen wollten, da ja die ganze Behandlung und Beziehung auf diesem Konstrukt beruhte.
Diskurs suchen und Brücken bauen
Als Stiftung, die sich für Betroffene, Angehörige sowie Fachpersonen einsetzt, wurde Pro Mente Sana in der Vergangenheit gehäuft zum Thema angefragt. Wir wünschen uns, dass gerade auch Menschen mit schweren psychischen Belastungen, die bestmögliche Behandlung erhalten. Deshalb braucht es Massnahmen, welche die Therapien auf ihre Qualität und Sicherheit prüfen.
Wir appellieren an die involvierten Institutionen und Entscheidungsträger dem Thema mit mehr Transparenz zu begegnen und proaktiv zu handeln. Beispielsweise indem runde Tische mit allen Beteiligten – Betroffenen, Angehörigen und Fachpersonen – einberufen werden. Wichtig ist, dass sich eine neutrale Stelle mit dem Thema befasst. Allgemein haben Betroffene, die sich in einer psychiatrischen oder psycho-therapeutischen Behandlung befinden und ihre Angehörigen in der Schweiz eine schwache Position. Es braucht dringend eine unabhängige und auf das Thema spezialisierte Nationale Ombudsinstanz, an die man sich wenden kann. Die Pro Mente Sana wäre bereit sich dieser Herausforderung zu stellen, wenn die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Weitere Berichte zum Thema
Jetzt reden die Opfer – «Satanic Panic» in der Schweiz | SRF Dok vom 17.5.2022 (31.54 min.)
An Berner Kliniken wird mit Verschwörungstheorie therapiert | SRF News vom 17.5.2022