IV-Ausführungsbestimmungen zur jüngsten Gesetzesrevision
23.03.2021
Verordnungsbestimmungen zu verstärkten Anstrengungen bei der Integration von jungen und psychisch Beeinträchtigten
Pro Mente Sana begrüsst insgesamt die Verordnungsbestimmungen zu verstärkten Anstrengungen bei der Integration von jungen und psychisch Beeinträchtigten sowie zu Qualitätskontrollen bei Gutachten. Verbesserungen verlangen wir bei der Verteilung der Gelder an die verschiedenen Gruppen von Beeinträchtigten.
Pro Mente Sana begrüsst die Umsetzungsbestimmungen zu den neuen und flexibleren Massnahmen zugunsten psychisch Beeinträchtigter
Ein Hauptziel der letzten IV Revision («Weiterentwicklung der IV» / 7. Revision) war die verbesserte Begleitung von jungen psychisch beeinträchtigen Menschen, deren Schulen sowie Arbeitgebenden. Hierfür wurden die Massnahmen erweitert und flexibilisiert. Das Ziel ist eine möglichst gute Integration in den Arbeitsmarkt und Vermeidung von früher Invalidisierung. Eine solche bedeutet grosses menschliches Leid und immense Kosten. Mit den nun vorgelegten Ausführungsbestimmungen sind wir in Überstimmung mit dem Dachverband Inclusion Handicap (IH) insgesamt sehr zufrieden. Der effektive Nutzen der neuen Massnahmen wird aber massgeblich von den Ressourcen und dem Willen der kantonalen IV-Stellen abhängen, die neuen Instrumente auch konsequent anzuwenden. Die IV Stellen müssen Personen schulen und neu rekrutieren, welche sich auskennen mit psychischen Krankheiten insbesondere bei Jugendlichen, den anspruchsvollen Schnittstellen zwischen obligatorischer Schulzeit und Ausbildung sowie Unterstützung für die Arbeitgebende. Diesen muss geholfen werden, damit sie noch vermehrt zur Ausbildung und Beschäftigung einer psychisch beeinträchtige Person bereit sind.
Pro Mente Sana begrüsst ebenso die Anforderungen an Begutachtende und deren Unternehmungen sowie Tonaufnahmen insbesondere von psychiatrischen Begutachtungsgespräche
Trotz verstärkten Bemühungen für die Integration wird es auch weiterhin Menschen geben, die zumindest teilweise erwerbsunfähig bleiben. Die Begutachtenden bestimmen die Höhe der Arbeitsunfähigkeit und damit massgeblich über die Ausrichtung einer Rente. Im Gutachterwesen herrschen seit langem teils grobe Missstände. So gab es Gutachter, welche im Akkord nach kurzen Gesprächen Gutachten erstellten, ohne die Einschätzung der Behandelnden und die Aussagen der psychisch Beeinträchtigten ernsthaft zu würdigen. Diese Missstände wurden mit der Gesetzesrevision erfreulicherweise angegangen. Insbesondere die Tonaufnahme des Gespräches bei der Psychiaterin bzw. dem Psychiater bringt einen gewissen Schutz vor falscher Wiedergabe von Aussagen der Versicherten oder einer Interpretation, welche nicht arte legis ist. Dies ist gerade bei psychisch Beeinträchtigten sehr wichtig, da anders als bei vielen körperlichen Krankheiten nur begrenzt «harte» Beweismittel wie Bilder oder Laborwerte vorliegen und das Gespräch somit ein entscheidendes Beweismittel ist.
Pro Mente Sana fordert zusammen mit IH jedoch, dass von Begutachtenden nicht nur eine fünfjährige Praxis in der Vergangenheit, sondern immer auch eine gegenwärtige klinische Tätigkeit verlangt wird. Nur so kann eine totale wirtschaftliche Abhängigkeit von der Gutachtertätigkeit vermieden und die Praxisnähe sichergestellt werden.
Pro Mente Sana vermisst eine Umsetzung der vom Gesetzgeber geforderten Setzung von Prioritäten bei der Verteilung der Gelder an verschiedene Zielgruppe bzw. deren Organisationen
Der Bund fördert Organisationen, welche Dienstleistungen für Menschen erbringen, die von Krankheiten und Behinderungen betroffenen und zu Leistungen der IV berechtigt sind. Art. 75 IVG regelt nun erstmals klar, dass der Bundesrat eine Prioritätenordnung erstellen muss für den Fall, dass die eingereichten Gesuche solcher Organisationen das durch den Bundesrat gemäss Art. 74 IVG festgelegte Gesamtkostendach überschreiten. Es geht also um die Verteilung der Beiträge im Rahmen des vorgegebenen Gesamtkostendaches. Die vorgelegte Ordnung priorisiert nun aber überhaupt nicht, sondern schreibt die bisherige Ordnung fest. Eine solche Fortschreibung des Status Quo ignoriert die grossen Veränderungen in der Population der verschiedenen Kranken und Beeinträchtigten in den letzten zwanzig Jahren.
Die Stiftung Pro Mente Sana kritisiert in Übereinstimmung mit dem Dachverband IH die Deckelung des Gesamtbetrages. Sollte aber an dieser Deckelung festgehalten werden, so fordert Pro Mente Sana, dass innerhalb des Gesamtbetrages eine Verschiebung zugunsten von Organisationen vorgenommen wird, welche unter anderem (wie beispielsweise Procap oder Pro Infirmis) oder exklusiv (wie Pro Mente Sana) Leistungen für psychisch Beeinträchtigte erbringen. Pro Mente Sana begründet die Forderung damit, dass erstens der Gesetzgeber in der letzten Revision einen Fokus auf die psychisch Beeinträchtigten legte, zweitens diese Gruppe unter allen IV-Berechtigten einen sehr grossen und immer grösseren Anteil ausmacht und drittens eine vom BSV in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2016 belegt, dass diese Zielgruppe verglichen mit anderen einen grossen ungedeckten Bedarf hat an Beratungs- und anderen Hilfsangeboten der privaten Organisationen.
Pro Mente Sana schlägt auch einen Weg vor für eine Erhöhung der Mittel an die Zielgruppe der psychisch Beeinträchtigten, welcher keine Kürzung der Mittel an andere beinhalten würde: Die in den Leistungsverträgen zugesagten, aber letztlich nicht ausgeschöpften Mittel könnten in der Folgeperiode für die Erhöhung der Mittel an die Organisation der psychisch Beeinträchtigten eingesetzt werden.
Lesen Sie hier die gesamte Stellungnahme (PDF, 27 Seiten)