Artikel aus KONTEXT #06
14.12.2021
Ihde isst mit Renato Kaiser
Thomas Ihde lädt Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu einem inspirierenden Essen in ein Restaurant ihrer Wahl ein. Heute isst er mit Renato Kaiser, Komiker, in der Pittaria in Bern. Ein Gespräch über die Möglichkeiten und Grenzen von Humor.
- «Die grösste Problematik in unserer Gesellschaft ist, dass man zu schnell übervorsichtig wird. Dies führt oft dazu, dass gar nichts gemacht wird.» Renato Kaiser
Thomas Ihde: Mir gefällt deine Fernsehsendung «Tabu». Dort beschreibst du das Konzept so, dass du mit Randgruppen subtil bis an die Grenzen des Humors gehen willst. Eine mutige Herangehensweise. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Renato Kaiser: Die Sendung hat es bereits unter demselben Namen in Belgien gegeben. Daraus entstand die Idee, zusammen mit SRF etwas in diese Richtung zu machen. Dann wird immer sondiert, was es sonst noch gibt, was man will und was eben nicht. Im WDR wurde ein ähnliches Format ausgestrahlt. Die deutsche Sendung hat uns aber nicht so gefallen bzw. der Ansatz in Bezug auf die Gewichtung von Inhalt und Humor war nicht das, was wir uns vorgestellt hatten. Die belgische Sendung dagegen war genau, was wir wollten. Dann ging alles sehr schnell, wir haben uns die Lizenz für die Sendung geholt und uns sehr stark, vor allem auch filmisch, an die belgische Version gehalten. Den Rest erledigten dann die tollen Protagonist*innen und ich.
Thomas Ihde: Was hat dich in dieser Zeit, in der die Sendungen ausgestrahlt wurden, am meisten überrascht?
Renato Kaiser: Ich glaube, am meisten hat mich überrascht, dass mich nicht wirklich viel überrascht hat. Unser Konzept wurde von aussen als sehr riskant empfunden. Jemand aus der Comedy-Szene hatte mir gesagt: «Uh, das ist aber mutig.» Ich fand es aber überhaupt nicht mutig. Ich merke, dass ich zu vielen Themen einen entspannteren Zugang habe als andere Menschen. Ich gehe immer alles relativ frei an und finde, solange ich mir aufrichtig Mühe gebe auf dem Weg, ist die Gefahr, dass etwas in die Hose geht, kleiner. Und bei «Tabu» war es genauso. Ich fand das Konzept sehr stimmig. Auch die Teamkonstellation harmonierte, sodass ich nie Angst hatte, es könnte etwas schieflaufen. Dementsprechend hat mich mehr überrascht, dass alle sofort eine «Scheuklappe» anhatten, als ich von den Sendungen erzählte. Hier sehe ich auch die grösste Problematik in unserer Gesellschaft, man wird zu schnell übervorsichtig. Dies führt oft dazu, dass gar nichts gemacht wird. So im Sinne von, die Hauptsache ist, sich aus dem «schwierigen Thema» rauszuhalten. Dann hast du zwar nichts Falsches gemacht, aber du hast auch ganz sicher nichts richtig gemacht.
Thomas Ihde: Das sehe ich auch so, dass es dann oft fast zu einer ganz anderen Form von Diskriminierung kommt.
Renato Kaiser: Das war einer der Hauptpunkte unserer «Tabu»-Sendungen. Unser Ziel war, die marginalisierten Gruppen nicht auch noch vom Humor auszuschliessen. Das war uns das wichtigste Anliegen. Mit den Leuten, mit denen ich gesprochen habe, von den Protagonisten*innen selbst bishin zum Umfeld der Betroffenen, war es immer so, dass auch wenn sie selbst Witze machten, rundum mit betretenem Schweigen reagiert wurde. Teilweise werden sie sogar von aussen kritisiert, wenn sie Witze machen über sich und ihre Themen, da es den anderen oft unangenehm ist. Das war tatsächlich auch der einzige Kritikpunkt, denn die Sendung ist grundsätzlich überall sehr gut aufgenommen worden. Sogar die Personen, die sie gut fanden, haben gefragt, ob es den Stand-Up-Teil wirklich brauche. Denn die Interviews allein seien schon schön und lustig genug. Und ich persönlich finde, Sendungen mit Interviews gibt es zur Genüge. Dazu braucht es auch nicht mich als Moderator. Es wäre dann wieder so gewesen, dass man sich nicht an die Personen traut und über sie Witze macht. Das ist auch von aussen und von mir aus gesehen der heikelste und natürlich schwierigste Teil. Aber eben, wenn das Konzept stimmt, dann ist eine gute Sendung möglich. Dann ist es meiner Meinung nach überhaupt nicht schwierig.
Thomas Ihde: Wurde auch darüber diskutiert, Menschen mit psychischen Erkrankungen einzubeziehen?
Renato Kaiser: Ja, wir haben dieses Thema zu Beginn diskutiert, haben uns aber relativ schnell dagegen entschieden. Es gab dann rasch weitere Diskussionen, da das Thema in der Gesellschaft immer wieder aufgekommen ist. Ich war mir aber immer sicher, dass wir es nicht machen sollten. Das Wichtigste an unseren Sendungen ist, dass alle, die mitmachen, Verantwortung übernehmen können für das, was sie sagen und wer sie sind. Nur schon betreffend der Zustimmung, dass sie daran teilnehmen, und selbstverständlich auch für alle weiteren Schritte. Ich sage nicht, dass dies bei Menschen mit psychischen Krankheiten nicht der Fall ist, jedoch scheint es mir dort etwas problematischer. Aber ich spreche hier als Laie. Wenn es zum Beispiel um Depressionen ginge, hätte ich das Gefühl, es bestehe das Problem, dass man jemanden anfragt und diese Person sagt zu und bis zum Drehbeginn hat sich dann wieder etwas verändert. Zum Beispiel: Wenn der Dreh des Interview-Teils vorbei ist, fühlt sich die Person danach immer noch wohl? Danach ist der Dreh des Stands-Up-Teils, fühlt sie sich auch dann noch wohl? Und dann vergeht ein bisschen Zeit bis zur Ausstrahlung, und es stellt sich wieder die Frage, ob sich die Person immer noch wohlfühlt damit. Ich wollte vorsichtig mit dieser Thematik umgehen, da ich nicht wusste, wie sehr man den Leuten einen Gefallen tut.
Thomas Ihde: Was darf Satire deiner Meinung nach, was soll und kann sie?
Renato Kaiser: Viele Leute überschätzen den aufklärerischen Teil von Satire in dem Sinn, dass sie sich damit informieren wollen. Die Leute haben oft das Gefühl: «Muss ich jetzt den ganzen 20-minütigen Republik-Artikel lesen, wenn ich doch einfach nur das dreiminütige Video von Renato Kaiser anschauen kann?» Und das stimmt überhaupt nicht, denn ohne guten Journalismus gäbe es keine gute Satire. Es kann sein, dass die Leute deshalb überschätzen, was Satire alles kann – gerade, wenn es um ein Thema geht, bei dem sie zu wenig wissen. Dann muss man sich Gedanken machen, wie früh man den Witz macht. Was ich unbewusst mache, ist, dass ich Schritt für Schritt erkläre, nicht die Sachlage, sondern die Überlegungen dahinter, was macht es mit mir. Ich sage den Leuten weniger, was richtig oder falsch ist, oder weise sie weniger daraufhin, was Sache ist. Ich möchte sie mehr darauf hinweisen, sich zu überlegen, was eine Thematik in ihnen auslöst. Es ist eigentlich wie eine Schablone, wenn du dich mit einer Thematik befasst. Ich mache die Aufnahmen in meiner Wohnung oder im Wald und dann schneide ich alles zusammen. Diese Spaziergänge draussen mache ich mit meiner Hündin. Sie muss immer so lange mit mir draussen bleiben, bis das Video aufgenommen ist. Ich weiss mittlerweile ziemlich genau: Wenn ein Video etwa drei Minuten lang wird, dann brauche ich für die Aufnahme einen mindestens 45-minütigen Spaziergang.
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«mental help club im Dialog»: Gespräch mit Renato Kaiser und Jahn Graf (Youtube-Video, 1:16)
Magazin KONTEXT
Dieser Artikel erschien Mitte Dezember im KONTEXT #06, das Magazin rund um aktuelle Themen der psychischen Gesundheit. Möchten Sie das Magazin gratis erhalten? Werden Sie Mitglied im mental help club!