«Blick hinter die Kulissen»
20.06.2023
Für die Rechte der Patient*innen
Sandra Joos ist Juristin und arbeitet seit Anfang 2021 bei der Stiftung Pro Mente Sana im Handlungsfeld psychosoziale und juristische Angebote. Neben ihrer Beratungsarbeit für Menschen mit einer psychischen Erkrankung und deren Angehörigen gibt sie Rechtskurse und leitet das Pilotprojekt Vertrauensperson bei fürsorgerischer Unterbringung, über das sie uns einen Einblick gibt.
Über das Projekt Vertrauensperson
Seit Einführung des Erwachsenenschutzrechts können Menschen, die gegen ihren Willen in eine Klinik eingewiesen wurden, eine Vertrauensperson ernennen. Damit Betroffene einer fürsorgerischen Unterbringung (FU), die keine Vertrauensperson im näheren Umfeld haben, im Klinikalltag trotzdem Unterstützung erhalten, vermittelt Pro Mente Sana im Kanton Zürich freiwillige Vertrauenspersonen.
Die Vertrauensperson unterstützt Patient*innen während der Dauer der fürsorgerischen Unterbringung: Sie informiert über Rechte und Pflichten, hilft in administrativen Fragen, ist auf Wunsch bei der Erstellung des Behandlungsplanes dabei und vermittelt im Kontakt und bei Konflikten mit der Klinik und den Behörden.
Drei Fragen an Sandra Joos
Sandra Joos: Ich bin zusammen mit Martina Gasner, Fachmitarbeiterin Psychosoziales bei Pro Mente Sana, für die die Vernetzung aller Akteure im Projekt zuständig. Das sind aktuell zweiundzwanzig ehrenamtlich tätige Vertrauenspersonen und Koordinator*innen sowie die zuständigen Personen der vier psychiatrischen Kliniken im Kanton Zürich, welche am Pilotprojekt teilnehmen. Die Koordinator*innen gewährleisten, dass sich eine Vertrauensperson innerhalb von 24h bei der mittels FU eingewiesenen Person zurückmeldet, die zuvor auf die dafür eingerichtete Pikettnummer 076 281 99 93 angerufen hat. Bisher konnten wir jeder Person, die sich bei uns gemeldet hat, innert kürzester Zeit Unterstützung durch eine Vertrauensperson bieten.
Weitere Aufgaben umfassen die Unterstützung der Vertrauenspersonen durch die Organisation von regelmässig stattfindenden Intervisionen und Supervisionen, die Beratung bei juristischen und psychosozialen Fragen sowie die Suche nach einer Anwältin oder einem Anwalt.
Sandra Joos: Das Projekt Vertrauensperson ist ein Baustein von vielen, die nötig sind, um die Rechte der eingewiesenen Personen zu schützen. Das ist wichtig, denn die Erfahrung eines Freiheitsentzugs mittels FU wird vom Grossteil der Betroffenen als negativ und verstörend empfunden. Zum einen, weil die Einweisung ein Zwangsakt ist. Zum anderen, weil sie die Einweisung im Nachhinein als nicht gerechtfertigt und therapeutisch als nicht hilfreich empfinden.
Eine per FU eingewiesene Person untersteht dem Zivilrecht und verfügt über einen schlechteren Rechtsschutz als im Strafrecht. Bei längerer Untersuchungshaft wird der beschuldigten Person zwingend eine Rechtsanwältin/ein Rechtsanwalt zur Seite gestellt. Es ist wichtig, dass auch FU-Betroffene Unterstützung von einer Vertrauensperson und Zugang zu einer Rechtsanwältin oder einem Rechtsanwalt erhalten: Sie befinden sich in einer gesundheitlichen Ausnahmesituation und sind eingesperrt. Es gibt keinen Grund, weshalb eine per FU eingewiesene Person nicht gleichermassen wie eine strafrechtlich eingewiesene Person Rechtsschutz erhält. Insbesondere da eine Erkrankung oder psychische Krise im Gegensatz zu einer Straftat nie selbstverschuldet ist.
Sandra Joos: Ich wünsche mir, dass sich per FU eingewiesene Personen besser wehren können in ihrer Ohnmachtssituation. Das Projekt Vertrauensperson ist ein erster Schritt dafür. In allen Kantonen sollte das Angebot von freiwilligen Vertrauenspersonen aufgebaut werden.
Ich wünsche mir zudem, dass die Forderungen des Positionspapiers von Pro Mente Sana zur fürsorgerischen Unterbringung mehr Gehör bei den einweisenden Ärztinnen und Ärzten sowie in der Politik und der Gesellschaft finden und eine Veränderung der Praxis auslösen. Darin fordern wir unter anderem, dass Personen, die per FU in eine Institution eingewiesen werden, über ihre Rechte aufgeklärt werden – insbesondere über das Recht auf den Beizug einer Vertrauensperson und über ihre Beschwerdemöglichkeit.
Zudem fordern wir, dass die Kantone dafür sorgen, dass jeweils zeitnah genügend qualifizierte Rechtsvertreter*innen zur Verfügung stehen. Aktuell fehlt es an Rechtsvertreter*innen, die zeitlich dringliche FU-Fälle übernehmen können. Dieses Problem verschärft sich bei mittellosen Personen. Nur wenige Anwält*innen sind bereit, die Arbeit zum relativ bescheidenen Honorar zu leisten, welches die Gerichte im Rahmen der unentgeltlichen Rechtsbeistandschaft zusprechen.
Hintergrund
Pro Mente Sana führt seit 2019 mit finanzieller Unterstützung des Lotteriefonds des Kantons Zürich das Pilotprojekt mit Vertrauenspersonen durch, die fürsorgerisch untergebrachte Patient*innen während ihres Klinikaufenthalts begleiten und unterstützen. Mit dem Pilotprojekt, welches bis Ende 2023 läuft, wird u.a. geprüft, wie gross der Bedarf für ein solches Angebot ist, was es in der Regelversorgung kosten würde und wer es finanzieren könnte. Am Pilotprojekt beteiligt sind die vier psychiatrischen Kliniken im Kanton Zürich (PUK, Clienia Schlössli, Integrierte Psychiatrie Winterthur und Sanatorium Kilchberg).