Blick hinter die Kulisse

07.05.2025

Ich habe die Haltung, dass das Nordliecht unseren Besuchenden «gehört».

Seit 2020 gehört Simone zum Team des Treffpunkts Nordliecht. Gemeinsam mit ihrer Co-Leiterin Martina hat sie den Treffpunkt durch herausfordernde Jahre geführt. Im Gespräch blickt Simone zurück: auf den Umzug, der mehr war als nur ein Ortswechsel – und auf die Gestaltung eines neuen Orts der Begegnung.

Wie lange bist du schon beim Treffpunkt Nordliecht dabei und was ist deine Aufgabe?

Simone, Co-Leitung Treffpunkt Nordliecht

Ich bin sozusagen mit Corona ins Nordliecht gekommen - im Frühling 2020. Als Fachmitarbeiterin im psychosozialen Bereich leite ich zusammen mit meiner Co-Leitungskollegin den Treffpunkt. Zusätzlich bin ich im Beratungsteam und übernehme Telefon- sowie Walk-In-Beratungen. Unsere Aufgaben im Nordliecht sind in verschiedene Ressorts aufgeteilt. Neben den regulären Schichten mit unseren Besucher*innen gehören zu meinen Leitungsaufgaben insbesondere organisatorische Tätigkeiten wie zum Beispiel die Verwaltung unseres «Betriebs-Haushalts». 

Wie hast du den Umzug begleitet?

Die Planung für den Umzug begann lange im Voraus. Unsere Besucher*innen wurden schrittweise darauf vorbereitet durch regelmässige Infositzungen und Gespräche, um ihnen die Veränderung zu erleichtern.

Nach 30 Jahren am alten Standort brachte der Umzug viele Fragen und Unsicherheiten mit sich. Immer wieder waren Gespräche nötig, um Bedenken zu klären und Vertrauen zu schaffen. Besonders berührt hat mich, dass so viele Besucher*innen unsere mehrfachen Umzugspläne mitgetragen und auch zu den unterschiedlichen Zwischenstandorten gekommen sind. Das ist nicht selbstverständlich, vor allem, wenn man bedenkt, wie viel Unsicherheit Veränderungen auslösen können. In kurzer Zeit mussten sich unsere Besucher*innen mehrfach auf neue Gegebenheiten einstellen. 

Trotzdem habe ich in dieser Zeit eine starke Zusammengehörigkeit gespürt und grosses Vertrauen in uns wahrgenommen. Vielleicht wurde sogar die eine oder andere Abenteuerlust geweckt? Wer weiss!

Wie gelang der Umzug?

Dank sorgfältiger Planung und grossartigem Teamwork! Das gesamte Nordliecht-Team hat tatkräftig mit angepackt. Für den Umzug wurde der Betrieb vorübergehend geschlossen, sodass wir das alte Nordliecht «auf den Kopf stellen» und gründlich ausmisten konnten. Vor dem Gebäude veranstalteten wir einen Flohmarkt, auf dem viele Nordliecht-Sachen schnell neue Besitzer*innen fanden. Mitgenommen haben wir nur gut erhaltene oder emotional wertvolle Stücke, so konnten wir eine Verbindung zwischen alt und neu schaffen. Unser Ziel war es, den Besucher*innen am neuen Standort ein vertrautes Gefühl zu geben und ihnen das Ankommen zu erleichtern.

Nach der Instandsetzung versuchen wir mit Farben die alten Möbel wieder ansehnlicher zu gestalten.
Nach der Instandsetzung versuchen wir mit Farben die alten Möbel wieder ansehnlicher zu gestalten. (Bild: Ursula Meisser)

Welche Herausforderungen gab es beim Umzug und wie habt ihr diese gemeistert?

Eine Besucherin erzählte mir einmal, dass sie als Kind schon mit ihren Eltern in diesen Räumlichkeiten Glace gegessen hatte, lange bevor das Nordliecht hier entstanden war. Diese Verbindung zur Vergangenheit fand ich besonders schön.

Wegen Bauverzögerungen mussten wir Übergangsstandorte einrichten – eine organisatorische Herausforderung. Doch sowohl die Besucher*innen als auch das Nordliecht-Team haben Grossartiges geleistet und diese schwierige Zeit mitgetragen. Es war ein echter Kraftakt, aber uns war es wichtig, den Betrieb trotz der Verzögerungen nicht einzustellen. Selbst wenn wir nur an wenigen Tagen pro Woche öffnen konnten, wollten wir stets ein Angebot aufrechterhalten. 

Beim Entrümpeln sind viele lustige Fotos entstanden. Immer wieder erinnerten wir uns an Situationen aus dem Treffpunktalltag: «Weisch no, wo …?» oder «Ui, lueg mol, da hämmer doch …!» Diese gemeinsamen Erinnerungen halfen uns, unseren eigenen Abschiedsprozess zu durchlaufen.

Der letzte Abend vor der Schlüsselabgabe war für mich besonders emotional. Ich habe das Nordliecht ein letztes Mal abgeschlossen und in diesem Moment wurde mir bewusst, wie viele Geschichten und Erlebnisse diese Räume in über 30 Jahren gespeichert haben. Viele Besucher*innen kamen jahrzehntelang regelmässig hierher. Das Nordliecht war weit mehr als nur ein Treffpunkt: Hier sind langjährige Freundschaften entstanden, Wegbegleiter*innen haben sich gegenseitig unterstützt und tun es bis heute.

Eine Besucherin erzählte mir einmal, dass sie als Kind schon mit ihren Eltern in diesen Räumlichkeiten Glace gegessen hatte, lange bevor das Nordliecht hier entstanden war. Diese Verbindung zur Vergangenheit fand ich besonders schön.

Eine Situation aus dem Übergangsprogramm ist mir besonders in Erinnerung geblieben (damals alles andere als lustig), aber rückblickend kann ich darüber schmunzeln. Wir mussten das gesamte Koch- und Treffpunktmaterial von der Geschäftsstelle in das Nebengebäude ins oberste Stockwerk transportieren. Es waren unglaublich viele schwere Taschen. Ich stand mit vollbepackten Händen vor dem Lift im Untergeschoss und dann las ich das Schild: «Lift ausser Betrieb.» In diesem Moment kamen mir die Tränen. Wir waren bereits so im Improvisationsmodus, dass ich kurzerhand was anderes angeboten hätte, aber unsere Besucher*innen hat der defekte Lift nicht abgehalten, ins Nordliecht zu kommen! Mit anderem Aufzug und nur noch einer Etage zu überwinden, konnte ich mit der Hilfe einiger Besucher*innen das Nordliecht wie gewohnt öffnen.

Der Ruheraum im Treffpunkt Nordliecht (Bild: Ursula Meisser)

Welche Vorteile bietet der neue Standort im Glaubten-Neubau für die Besucher*innen?

Das neue Nordliecht ist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln sehr gut erreichbar. Die Haltestellen sind in unmittelbarer Nähe und es gibt viele Buslinien. Zudem ist der neue Standort barrierefrei und bietet deutlich mehr Platz. 

Die Küche hat nun eine ordentliche Grösse und unsere Köche scheinen damit sehr zufrieden zu sein. Für alle, die sich zurückziehen möchten, gibt es einen separaten Raum oder eine gemütliche Sofaecke so kann man in Gesellschaft sein und sich dennoch in eine ruhigere Umgebung begeben. Dadurch können wir besser auf unterschiedliche Bedürfnisse eingehen, ohne die gemütliche Atmosphäre zu verlieren. 

Welche Vorteile das neue Nordliecht hat, würde ich an dieser Stelle am liebsten unsere Besucher*innen selbst fragen. Rückmeldungen, die ich bereits gehört habe: «Es ist schön hell und grosszügig, modern, hat mehr WCs, ist barrierefrei, gemütlich und schön eingerichtet.» 

Ein Punkt, der vermisst wird, ist der kleine Gartensitzplatz des alten Nordliechts. Eine echte Alternative können wir zwar nicht bieten, aber wir werden für den Sommer sicher eine gute Lösung finden!

Welche besonderen Massnahmen habt ihr beim Innenausbau ergriffen? Gab es dabei kreative oder ungewöhnliche Ideen?

Unsere Küche sowie die meisten Geräte haben wir mitgenommen. Der Schreiner hat alles wiederverwertet, was möglich war, Nachhaltigkeit war uns dabei besonders wichtig. Eine kreative Herausforderung war sicherlich, dass wir die Betonwände komplett von Hand gewaschen haben. Das hatte ich vorher noch nie gemacht!  

Unser Mitarbeiter Tom hat grossartige Arbeit geleistet: Er hat alle Tische renoviert und unsere alten Holzmöbel restauriert und neu gestrichen. Im Keller entstand eine richtige Werkstatt, ein riesiges Projekt! Überraschend war, dass die Farben völlig anders herauskamen, als wir sie nach den Mustern erwartet hatten. Doch wir haben uns schnell daran gewöhnt. 

Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, fallen mir vor allem lustige Momente ein: Essen im Keller auf Kisten, ungewöhnliche Lieferzeiten und die Hoffnung, dass unsere Pakete noch vor der Tür stehen, wenn wir ankommen. Sofa-Studien in der IKEA, plötzlicher Schneefall und der komplette Ausfall der ÖV mitten in der Nacht, es war chaotisch, aber auch voller unvergesslicher Erlebnisse!

Das Küchenteam des Treffpunkts Nordliecht
Das Küchenteam des Treffpunkts Nordliecht (Bild: Ursula Meisser)

Welche Angebote und Aktivitäten gibt es weiterhin im neuen Treffpunkt Nordliecht? Gibt es dabei besondere Highlights?

Grundsätzlich läuft der normale Betrieb wie schon im alten Nordliecht weiter. Wir distanzieren uns jedoch bewusst von klassischen «Aktivitäten» oder aktivierenden Angeboten. Im Nordliecht darf einfach mal die Seele baumeln ohne Druck, ohne Erwartungen, ohne das Gefühl, etwas leisten zu müssen. 

Statt gezielter Aktivierung soll Raum entstehen für das, was gerade Freude macht: spontane Spielrunden, anregende Gespräche oder auch einfach ein Rückzug mit einem Buch, einer mitgebrachten Beschäftigung oder die Möglichkeit, in Ruhe für sich zu sein. Wer sich gerne aktiv einbringen möchte, kann uns jederzeit ansprechen, wir finden sicher kleinere Aufgaben, die den Treffpunktalltag bereichern. 

Nach einer Pause haben wir ausserdem den Erstbesucher*innentisch wieder offiziell eingeführt. Dieser findet nun am Montagnachmittag statt (genaue Infos auf der Website www.nordliecht.ch). Selbstverständlich kann man jederzeit zum ersten Mal ins Nordliecht kommen, aber wir wissen, dass es vielen Menschen schwerfällt, diesen ersten Schritt allein zu machen. Ein festes Angebot kann da eine wertvolle Unterstützung sein.

Der Treffpunkt Nordliecht (Bild: Ursula Meisser)

Gibt es neue Programme, die ihr am neuen Standort eingeführt habt?

Ja! Wir haben den Kulturabend wieder aufgenommen, den gab es früher schon einmal im Nordliecht. Jeden Freitag nach dem Nachtessen entsteht mit den Ideen der Besucher*innen ein kleines Kulturprogramm. Das kann ein Videoabend sein, eine Bilderpräsentation, das Vorlesen von Kurzgeschichten oder die Vorstellung von Lieblingsbüchern. 

Der Kulturabend befindet sich noch in der Entwicklungsphase, und es bleibt spannend, welche kreativen und inspirierenden Momente wir gemeinsam erleben werden! 

Welche Pläne habt ihr für die Zukunft des Treffpunkts Nordliecht?

Da wir nun mehr Platz haben, wünschen wir uns, noch mehr Besuchende willkommen zu heissen. Ein wichtiger Schritt dabei ist, uns stärker mit Organisationen und Institutionen aus dem psychiatrischen, psychosozialen und sozialen Bereich zu vernetzen. 

Wir möchten unser Angebot breiter bekannt machen, auch für Menschen, die belastet sind, aber (noch) nicht in einem psychiatrischen Setting Unterstützung erhalten. Unser Ziel ist es, alle Menschen anzusprechen, die mit psychischen Belastungen zu kämpfen haben, unabhängig von einer formellen Diagnose. Auch Angehörige sind herzlich eingeladen, sich auszutauschen und Unterstützung zu finden. 

Wie können Besucher*innen und die Gemeinschaft zur Weiterentwicklung beitragen?

Ich habe die Haltung, dass das Nordliecht unseren Besuchenden «gehört».

Ich habe die Haltung, dass das Nordliecht unseren Besuchenden «gehört». Ich sehe den Treffpunkt oft als eine grosse Selbsthilfegruppe – aber keine Sorge, wer jetzt denkt «ohje, nein», der irrt sich!

Wer ins Nordliecht kommt, trifft oft zuerst auf eine*n Besuche*rin. Meistens wird dann gleich gefragt: «Bisch zum ersten Mal da?» Wenn die Antwort ja lautet, wird oft sofort alles gezeigt und erklärt oder jemand ruft nach mir: «Simone, öper neus!» Niemand weiss besser, wie es sich anfühlt, den ersten Schritt zu uns zu machen, als die, die ihn selbst bereits gegangen sind. Dieser riesige Erfahrungsschatz zeigt sich oft im Austausch untereinander und macht das Nordliecht zu einem ganz besonderen, wertvollen Recovery-Ort. 

Wir bewegen uns stetig in Richtung Inklusion und fördern Selbstwirksamkeit, indem wir positive und wirkungsvolle Erfahrungen schaffen – immer ohne Druck, damit sich ganz natürlich ergibt, was entstehen soll. 

Mein Wunsch für die Zukunft? Echte Inklusion und die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen. Wenn wir das erreicht haben, braucht es vielleicht kein Nordliecht mehr.

Eingang Treffpunkt Nordliecht (Bild: Ursula Meisser)

Lernen Sie das Nordliecht besser kennen! Alle Informationen finden Sie unter www.nordliecht.ch.